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Maithink über Gentechnik

https://www.zdf.de/show/mai-think-x-die-show/maithink-x-folge-10-102.html

Mai Thi Nguyen-Kim über grüne Gentechnik


Ich bin ein Fan von Maithink und fand z.B. die Hanna-Episode gut gemacht. Sie nimmt sich in der Regel Zeit ein Problem genau zu analysieren und darzustellen ohne auf die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne des Twitter-Nutzers  Rücksicht zu nehmen auch wenn es mal etwas komplizierter wird.
Die Argumentation ist denn auch interessant und anspruchsvoll: in völliger Umkehrung der üblichen Argumentationsstrategie (Mutationen sind natürlich - CRISPR-Mutationen damit auch - also hört auf euch so anzustellen) macht sie klar, dass auch "natürliche" Züchtung eine Veränderung des Erbguts mit möglicherweise verheerenden Folgen (Lenape-Kartoffel) ist.
Der Haken bei ihrer Argumentation ist der dann folgende klassische Fehlschluss: damit ist eben nicht wie bei Mai unterstellt bewiesen, dass man bei Gentechnik wie bei klassischer Züchtung nicht mehr aufpassen muss. Vernünftig wäre die Überlegung, welche Kontrollen bei welchem Verfahren sinnvoll sind und aus welchen sachlichen Gründen. Leider muss man sich da mit dem einzelnen Eingriff, dem Organismus, der Anwendung beschäftigen. Genau das fordert die EU-Regelung zur Überwachung von Gentechnik. Allerdings kann man durchaus darüber nachdenken ob sie das nicht vielleicht etwas zu bürokratisch und langatmig tut.

Der Mechanismus der zu solch komplizierten Überprüfungen führt ist aber bekannt: im Falle von negativen Befunden werden leider die "Opfer" dieser Regelung eine Überprüfung fordern etc. was das Verfahren dann juristisch aufbläht.
Man muss also am Einzelfall arbeiten. Das heisst natürlich nicht, dass man nicht die möglichen segensreichen Erfindungen durch Gentechnik mit Freuden annehmen sollte. Nur ist neben Freude auch etwas Vorsicht gefragt. Leider sind die segensreichen Erfindungen bis heute beschränkt weitestgehend auf Gebiete auf denen es schon erfolgversprechende klassiche Züchtungen gibt wie z.B. Dürreresistenz.

Nun bekommen wir in der Folge in Mais Vortrag alle gängigen Glanzpunkte der pro-Gentechnik (bzw. gegen Kontrollen)-Argumentation geliefert:
- Gentechnik werde gebraucht weil wir sonst keine 11 Mrd. Menschen ernähren können (wegen Dürre und Klimaveräanderungen):
ein Blick in den letzten Welthungerbericht der WHO zeigt deutlich, dass wir mit erheblich besseren Erfolgschancen (das muss man seit dem 24.2. - Putin - vielleicht etwas relativieren) zunächst an Kriegen, Korruption und Misswirtschaft und dem Anbau von unsinnigen Pflanzen zur Devisenbeschaffung etc. arbeiten könnten. Darüber hinaus könnte man es auch mal mit Frauenbildung und sozialer Absicherung versuchen was offenbar in überschaubaren Zeiträumen zu geringeren Geburtenraten führt und evtl. die Überbevölkerung mit 11 Milliarden Menschen vermeiden könnte. Für die würden  wir wahrscheinlich eine 2. Erde brauchen. Die wollen nämlich neben Essen auch noch Jobs, Bildung, Häuser, Autos,  ...
-BT-Toxin Mais sei harmlos (Fütterungsversuche) - leider muss der inzwischen mit immer neuen Toxin-Genen kombiniert werden weil sich die Resistenzen so schnell entwickeln (https://agrilife.org/lubbock/files/2020/09/EPA-Southern_Corn_Proposal.pdf). Wenn ich auf dem neuesten Stand bin sind wir jetzt bei sechfach-Mutationen.
- wir hätten jetzt 30 Jahre Sicherheitsforschung gemacht und nun sei es mal gut - haben wir leider nicht: wir haben noch keine Erfahrungen mit dem  was mit den neuen Techniken möglich ist wie z.B. 30 Genorte simultan zu verändern um dann die dringend benötigten nicht-bräunenden Champignons zu erzeugen.
- man könne mit CRISPR Orgnismen herstellen, die man genau so mit Züchtung erzeugen kann. Das ist die Umkehrung des Anfangsarguments, sagt aber leider nichts grundsätzliches über die Schädlichkeit und nichts darüber, dass man mit CRISPR ganz andere potentiell schädliche Dinge tun kann.
- cis-Mutagenese (Einführung von Genen verwandter Arten) sei harmlos - es gibt da leider z.B. die Dosiseffekte, siehe z.B. Trisomie 21. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ein vor 10000 Jahren herausselektiertes Merkmal einer verwandten Pflanze heute z.B. negative ökologische Folgen hat. Man sollte also wieder den Einzelfall prüfen.
- das Vorsorgeprinzip sei nach so langer Zeit nicht mehr sinnvoll - es muss natürlich mit Bedacht angewandt werden aber es besagt eben dass bei Hinweisen auf Gefahren gehandelt werden muss auch wenn die nicht zweifelsfrei sind (das sind sie meistens nicht). Es ist auch nötig, weil einmal eingeführte schädlliche Verfahren der Industrie nur nach Jahrzehnten wieder abgewöhnt werden können (z.B. vom Nachweis der Schädlichkeit von PFAS in den 1960er Jahren, dem öffentlichen Geständnis um 2000 bis zum Verbot vielleicht 2050 und deren Beseitigung in einigen Jahrtausenden) und weil bei genveränderten Organismen die Freisetzung in der Regel irreversibel ist.
- die neuen Techniken sollen einen positiven Effekt auf Einkommen von Bauern und Herbizideinsatz

(Mai zitiert https://www.supportprecisionagriculture.org/Klumper_and_Qaim_Meta_Analysis_of_Impacts_GM_Crops_2014_rjr.pdf)  haben. Es gibt in der Literatur ein durchaus gemischtes Bild mit anderen Befunden wie: steigender Herbizideinsatz, geknebelte Bauern die keine Wahl mehr haben und Einkommenssteigerungen vor allem bei Agrotech-Firmen sieh z.B. das im nächsten Absatz zitierte ENSSER-Paper oder sehr vorsichtig und differenziert: Pros and Cons of GMO Crop Farming, Rene Van Acker, M. Motior Rahman and S. Zahra H. Cici https://doi.org/10.1093/acrefore/9780199389414.013.217.


Was ich Mai ein bisschen übel nehme ist die krude Darstellung von hie Grünen und missgeleitetem Publikum und dort Wissenschaft. Es gibt durchaus ernstzunehmende Wissenschaftler (man schaue bei ENSSER https://www.greens-efa.eu/files/assets/docs/en_gmo_study-web.pdf oder beim Umweltinstitut München nach oder bei den zahlreichen NGOs die bei der EFSA gegen die letzte Aufhebungs-Initiative protestiert haben). Viele  Wissenschaftler sind für eine differenziertere Betrachtung  und nicht alle Grünen-Politiker sind wissenschaftliche Analphabeten. Wollte ich gerade in grüner Gentechnik promovieren (oder wäre ich an einer Gentechnik-Firma beteiligt) wäre ich vielleicht anderer Meinung (https://www.youtube.com/watch?v=xDZCRpPeJRo). Es ist nur nicht statthaft, hier nur eine Seite zu hören.  Wenn man dem dummen Publikum Gelegenheit gibt, sich wochenlang in Expertenhearings zu informieren - das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) hat das 2019 getan - so kann es einem passieren, dass dieses Publikum sich mit großer Mehrheit gegen eine Rücknahme der Kontrollen ausspricht (Verbraucherkonferenz 2019 https://www.bfr.bund.de/cm/343/verbrauchervotum-genome-editing.pdf). Auf der BfR-Website findet man das nur bei zielgerichteter Suche. Sofort springt dort ins Auge  die neueste Zeitschrift mit Polemiken gegen "Angst vor Gentechnik".

Und wo das alles hinführen soll und was sich leider 1:1 in der Argumentation findet:
"Für eine kurzfristige Gesetzesnovelle schlagen sie vor, die GVO-Definition so zu ändern, dass genomeditierte Organismen nicht mehr unter das Gentechnikrecht fallen, falls keine artfremde genetische Information eingefügt wurde oder ihr genetisches Material nur eine solche Veränderung enthält, wie sie ebenso in der Natur oder infolge der Anwendung konventioneller Züchtungsmethoden vorkommen könnte." (https://www.leopoldina.org/wissenschaft/gruene-gentechnik/gruene-gentechnik-gesetze/).
Es geht also nicht darum, die Prüfverfahren anzupassen, was ja sinnvoll sein könnte da sie wirklich sehr langwierig sind. Es geht offensichtlich darum, sie auf US-Niveau - also nahe Null - zu bringen. Nach mehr oder weniger erfolgreicher Anwendung - kann man dann schauen was man angerichtet hat. Tatsächlich fürchte ich, es geht darum, die Verwertungsbedingungen deutscher Gentechnik-Firmen auf das Niveau in den USA oder in Japan zu bringen. Alles andere ist ja Wettbewerbsverzerrung und damit natürlich nicht zu rechtfertigen.

 

B. Wille

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