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Trockenstressresistenz und die Rettung der Welt vor Hunger

 

Dies ist die momentan beliebteste Begründung für die Notwendigkeit der "neuen" Gentechnik und für die Abschaffung oder Entschärfung von Risikoanalysen. Die Nahrungskrise ist teils Putins Angriffskrieg anzulasten, mehr noch aber der veränderten Niederschlagsverteilung und erhöhten Temperaturen durch die Klimakrise.

Es kann keinen Zweifel geben, dass jede Möglichkeit Versorgung der Bevölkerung zu begrüßen ist.

Einen Eindruck von den Entscheidungen, die ein Land der Dritten Welt gerade unter dem Druck des Klimawandels  hier treffen muss gibt z.B. ein Artikel in "Wired": https://www.wired.com/story/kenya-gmo-approval/.

 

Schaut man in den FAO-Welternährungsbericht https://doi.org/10.4060/cb4474en so liest man:

"Konflikte, Klimaschwankungen und -extreme sowie wirtschaftliche Verlangsamung und Abschwung ... sind die Ursachen für den jüngsten Anstieg des Hungers und die Verlangsamung der Fortschritte bei der Verringerung aller Formen von Unterernährung. ... Armut und Ungleichheit sind entscheidende strukturelle Faktoren, die die negativen Auswirkungen der Hauptursachen verstärken."(Übersetzung mit Deepl)

Im Welthungerindex findet man als Gründe für Hunger (https://www.globalhungerindex.org/pdf/de/2022/synopse.pdf)

"Armut, Ungleichheit, mangelhafte Regierungsführung und Infrastruktur sowie geringe landwirtschaftliche Produktivität", dazu kommen "Konflikte, Klimakrise und COVID-19".

Da Gentechnologie eine nicht ganz unumstrittene Strategie ist würde es sich natürlich anbieten, zunächst mal etwas gegen dysfunktionale Regierungen, Ungleichheit, Armut und lokale Konflikte zu tun.

Ein guter Ansatzpunkt wären auch lokale Probleme mit Lagerung, die z.B. in Uganda 17% der Maisernte kosten (https://www.fao.org/fileadmin/user_upload/food-loss-reduction/Nairobi_congress/Muyinza_Presentation_Kenya_conference__Final2.pdf). Angehen könnte man auch die erheblichen Verluste durch mangelnde Düngung, fehlendes know how, Ausrüstung  und Infrastruktur (siehe Wired-Artikel). 

 

Auch wenn die Argumentation also von vornherein schief liegt,  soll es hier  darum gehen, die Nützlichkeit der Gentechnologie zur Bekämpfung der Wirkungen der Klimakrise zu bewerten. Hier haben wir es inzwischen mit 2 Lagern zu tun, die sich sehr wenig gegenseitig zitieren. 

 

Es gibt auf der einen Seite eine intensive Forschung von Saatgutfirmen und agrarwissenschaftlichen Instituten nach möglichen Mechanismen für eine Trockenstressresistenz. Die Herausforderung ist dabei, ein oder wenige Gene zu finden, an denen man "drehen" kann ohne den Organismus zu sehr zu belasten (sieh z.B. C. Liang DOI: 10.1007/978-3-319-32423-4_19). Es mangelt nicht an Kandidaten und es ist absehbar, dass früher oder später Mechanismen gefunden werden, die uns hier weiterhelfen.

Bislang vermarktet werden  2 "Kandidaten", die pikanterweise nichts mit "neuer" Gentechnik zu tun haben sondern schon vor Jahrzehnten mit "klassischen" gentechnischen Methoden erzeugt wurden. Da ist zunächst die TELA-Technologie von Bayer. Die ist schon vor Jahren  z.B. in Tansania und Südafrika als ineffizent abgelehnt worden  (https://acbio.org.za/gm-biosafety/failure-monsantos-drought-tolerant-maize-pushed-africa-confirmed-us/  https://acbio.org.za/gm-biosafety/sa-government-rejects-monsantos-triple-stacked-gm-drought-tolerant-maize/).

Die Hauptmodifikation ist ein Kälteschockprotein aus Bazillus subtilis, das höhere Erträge unter Stressbedingungen erlauben soll. Gekoppelt ist es mit 1-2 Varianten des Bacillus thuringiensis Insektizid-Gens und noch einer Herbizidresistenz. Dieses anerkannt fragwürdige Konstrukt wird immer noch von AGRA (also der Gates-Foundation, CIGAR, IFPRI etc. siehe unten) in verschiedenen Staaten wie Kenia (siehe den oben zitierten Wired-Artikel) und neuerdings Äthiopien (https://www.ers.usda.gov/webdocs/publications/91103/eib-204.pdf?v=5455.2) gepusht.

Der andere Kandidat kommt von der argentinischen Firma Bioceres. Hier wird ein Transscriptionsfaktor, also ein die Ablesung eines Gens regulierendes Protein, das in Sonnenblumen unter Stress gebildet wird, überexprimiert und führt  zu verbesserter Trockenstressresistenz. Auch diese Pflanze trägt zusätzliche eine Herbizidresistenz ( Gonzales et. al. J Exp Bot 2019 Mar 11;70(5):1669-1681. doi: 10.1093/jxb/erz037 https://www.reuters.com/markets/commodities/exclusive-brazil-tests-genetically-modified-wheat-global-supplies-tighten-2022-06-06/). Hier gab es Freigaben in Argentinien, Brasilien und eine bewertungslose prinzipielle Freigabe in den USA. Die Effizienz scheint real zu sein.

 

Bislang werden Produkte von gentechnisch modifizierten Pflanzen fast nur als Futtermittel genutzt, da man mit einer geringen Akzeptanz der Verbraucher rechnet. Was vielen Verbrauchern nicht bewusst ist: gentechnisch veränderte Futtermittel sind in der EU und Deutschland durchaus zugelassen. Es wäre wahrscheinlich inzwischen schwierig, eine ausreichende Menge nicht-GMO Soja für den deutschen Markt einzukaufen. Die Skepsis gegenüber dem direkten Verzehr von  GMO-Pflanzen gilt nicht nur für die "überempfindlichen" Deutschen sondern z.B. auch in Japan und den USA (https://www.reuters.com/markets/commodities/exclusive-brazil-tests-genetically-modified-wheat-global-supplies-tighten-2022-06-06/). Die Krise durch Putin's Krieg könnte eventuell aus Not zu einem Umdenken zumindest in der 3. Welt führen. 

Ein weiteres Problem der Bioceres-Produkts ist die Herbizid-Resistenz gegenüber Glufosinat: das Herbizid ist wegen Reproduktionstoxizität in der EU nicht mehr zugelassen (https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/screen/active-substances/details/79). Man könnte sich jetzt natürlich fragen ob die Toxizität in Südamerika keine Rolle spielt aber das ist wieder eine andere Debatte.

 

Wenn man Gentechnik als Problemlösung akzeptiert, dann wird man nicht umhin können, auch die notwendigen Tests durchzuführen, die eventuell das Akzeptanzproblem lösen könnten. Die umgekehrte Strategie, nämlich diese Tests für überflüssig zu erklären, wird derzeit von der europäischen Gentechnik-Industrie gefahren. Das ist wissenschaftlich sicher nicht haltbar (vgl. https://www.greens-efa.eu/files/assets/docs/en_gmo_study-web.pdf) und wird auch wenn es bei der EU-Komission verfängt (aufgrund von extremem Lobby-Aufwand und publizistischer Offensive) nichts nützen wenn die Produkte nicht verkäuflich sind oder wegen Marketing-Problemen erst gar nicht kommerzialisiert werden.

 

Ein guter Indikator für die Richtung der Entwicklung ist natürlich die "Entwicklungs-Pipeline" der Gentechnik-Firmen. Darüber weiß man naturgemäß wenig. Bei der FAO gibt es die Food-Safety-Datenbank (https://www.cfsanappsexternal.fda.gov/scripts/fdcc/?set=NewPlantVarietyConsultations&sort=BNF_No&order=DESC&type=basic&search=)

die auf einer freiwilligen Konsultation beruht. Ich habe da von 2019 an 12 Einträge: 7 Mais, 3 Raps, 1 Soja, 1 Weizen, davon 10 mit Herbizidresistenz, 4 Insektizidres., 4 geänderte Inhaltsstoffe nur 1 Antrag auf eine Maispflanze, die als Futtermittel verbessert war (Phytase) ohne Resistenzgene. Ein Mais (DOW-Agroscience) enthält die Modifikation des Bioceres-Weizens + Herbizid-Resistenz). Im älteren "am I regulated"-Prozess (bis 2020) der USA gab es von 2011-2020 von 168 Anfragen genau eine kommerzielle zu Trockenresistenz. Die Nachfolger-Datenbank ist für mich nicht zugänglich, in der Presse gemeldet wurde nur eine Farbvariante einer Zitrusfrucht.

Aus Pressemeldungen hört man meist von vermarktungstechnisch interessanten Merkmalen wie verzögerter Bräunungsreaktion bei Überlagerung oder geänderten Fettsäure- oder Stärkeprofilen etc. Die bislang vermarkteten Produkte haben - mit den erwähnten Ausnahmen - mit Trockenresistenz nichts zu tun. Von einer Lawine von marktreifen trockenstressresistenten Pflanzen ist nichts zu sehen.

 

Wenn wir die andere Seite konsultieren dann gibt es verschiedene Ansätze zur Kritik an der gentechnischen Lösung.

Im ersten Schritt kann man darauf hinweisen, dass die bislang erzeugten Trockenstressresistenzen nicht gegen extreme Dürre helfen sondern nur unter Bedingungen reduzierten Wasserangebots  bessere Erträge ermöglichen. Es gäbe natürlich immer noch die Frage ob in einer bestimmten Region Mais oder Weizen die geeignete Spezies sind. Eventuell werden sie primär für den Export angebaut während die lokale Bevölkerung mit anderem Getreide versorgt werden könnte. Hinzu kommt die Möglichkeit, durch Fruchtfolge, schonendes Pflügen, Bedeckung des Bodens mit organischem Material etc. gegenzusteuern (https://www.ers.usda.gov/amber-waves/2019/march/drought-tolerant-corn-in-the-united-states-research-commercialization-and-related-crop-production-practices/).

Im nächsten Schritt geht es  ums Konzept: man will eine Pflanze oder einige Pflanzen erzeugen, die dann die Landwirtschaft retten soll(en). Die müssen dann mit Resistenzen aufgerüstet werden und werden von einigen Konzernen vermarktet.

 Man hat z.B. im Bereich Bananen schon gesehen, dass diese Strategie wenig resilient ist: die eine Pflanze zieht sich spezifischen Krankheite zu (z.B. Cavendish-Banane: https://de.wikipedia.org/wiki/Cavendish_(Banane)#Pilzerkrankungen) oder gedeiht an bestimmten Standorden eben nicht. 

Gerade die Förderung von Monokulturen und Verdrängung traditioneller Anbauformen und Pflanzen wird als eines der Hauptprobleme z.B. der Landwirtschaft in Indien angesehen (https://www.dw.com/de/hintergr%C3%BCnde-agrarkrise-in-indien-bauernproteste-agrargesetz-nachhaltigkeit-monokultur-agrarkonzerne/a-56402514 https://www.globalhungerindex.org/de/case-studies/2016-india.html)

Wir sind auch gerade dabei zu lernen, dass unsere Landwirtschaft nicht mit massiven Pestizidgaben die Biodiversität der Äcker (und der umliegenden Landschaft) vernichten darf, will sie nicht verheerende Folgen riskieren. Damit sollten sich speziell Pflanzen mit Herbizidresistenz verbieten. Insektizide Züchtungen mit Bac.-Thuringiensis-Genen führen erfahrungsgemäß sehr schnell zu Resistenzen.

 

Die Vermarktung über Agrarkonzerne wird gerade in Afrika durch die AGRA (https://en.wikipedia.org/wiki/Alliance_for_a_Green_Revolution_in_Africa gibt auch Hinweise auf Kritik an dieser Initiative) betrieben. Diese Organisation (gefördert von der Gates-Foundation, aber auch von etlichen staatlichen - auch deutschen -Akteuren) bemüht sich gerade verzweifelt, eine Evaluierung ihres Programms zu vermeiden. Die Hinweise verdichten sich, dass die bisherigen Ansätze kontraproduktiv waren und zum Ruin nicht weniger kleiner Produzenten, zumindest aber zu keiner Verbesserung ihrer Lage geführt haben. Sie haben aber zu einer Verdrängung lokaler, angepasster Pflanzensorten geführt (sieh Wise https://theconversation.com/africas-green-revolution-initiative-has-faltered-why-other-ways-must-be-found-167624. Fischer  https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2021.08.001).

Gegen Agrarkonzerne als Vorreiter  der zukünftigen Landwirtschaft spricht auch die Welle von Patenten auf Organismen die konventionelle Züchtung zumindest von kleineren Firmen massiv behindert.

 

Es sollte noch erwähnt werden, dass die Gentechnik-Industrie mit Vehemenz etwas entwickeln will, das mit konventioneller Züchtung schon seit langem produziert und weitverbreitet eingesetzt wird. In den USA dominiert (Zahlen von 2019) konventionell gezüchteter trockenheitsresistenter Mais ((US-Economic research  service, 2019): https://www.ers.usda.gov/amber-waves/2019/march/drought-tolerant-corn-in-the-united-states-research-commercialization-and-related-crop-production-practices/).

Die prinzipielle Kritik von Wissenschaftlern die mehr die Genetik als die Agrarökologie betrachten geht in die Richtung dass Trockenresistenz nicht an einem Einzelgen hängt sondern an einer Kombination von Merkmalen und meist nicht an einer Pflanze sonderen an ihrer Anbausituation, ihrem Ökosystem. Es wäre dann nicht verwunderlich dass die ultimate gentechnische Lösung nicht so einfach zu finden ist.

 

Von agrarökologisch orientierten Wissenschaftlern kommt die Feststellung, dass resiliente Systeme (also diejenigen, die nicht nur die nächste Trockenheit sondern auch andere Probleme der Klimakrise besser verkraften können) anders entstehen. Sie beruhen auf einer Verknüpfung von lokalen Sorten mit Fruchtfolgen, gemeinsamer Kultur mit anderen Pflanzen etc. sprich mit einer ganz anderen Landwirtschaft. Langfristig kann nur so das Nahrungsproblem gelöst werden (https://www.abl-ev.de/fileadmin/Dokumente/AbL_ev/Gentechnikfrei/Hintergrund/KAB_2023_295_299_Finckh_Der_Denkfehler_der_Gentechnik.pdf). Siehe dazu auch die Studie der Boston Consulting Group für den NABU über regenerative Landwirtschaft (https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/landwirtschaft/230127-bcg-nabu-studie-der-weg-zu-regenerativer-landwirtschaftf.pdf).

 

 

Bernd Wille

 

 

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