Sorry, hier wird es heute etwas chemischer ...
Schnelles Screening:
Bisphenol A, Bestandteil von z.B. Epoxyharzen und Thermodruckerpapier wird in der EU in der Herstellung von Materialien mit Lebensmittelkontakt verboten (https://www.nabu-bfa-oekotox.de/2023/09/16/bisphenol-a/), (EU) 2024/3190, oder https://www.sgs.com/en-lk/news/2025/01/safeguards-00525-eu-regulates-bpa-and-other-bisphenols-in-certain-food-contact-materials).
Diese Regelung erfasst auch strukturell ähnliche Verbindungen wenn die sie als krebserregend, mutagen oder reproduktionstoxisch bekannt sind. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung und wird wenigstens zum Teil die in solchen Fällen üblichen "regrettable substitutions" (durch ähnliche,noch nicht evaluiterte Substanzen) vermeiden soweit die nicht schon geschehen sind. Es bleibt das Problem, dass es an toxikologischen Daten für gerade nahe verwandte Verbindungen mangelt und daher wieder einmal ein Wettlauf der Toxikologen mit den Synthesechemikern droht. BPA-analoge werden vermehrt in der Umwelt gefunden, auch in Konzentrationen, die über dem für BPA etablierten no effect level liegen (Da et al, https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.5b05387).
Es gibt jetzt einen neuen Ansatz, mit Bioassays diese Substanzen relativ schnell auf möglliche Stoffwechselwirkungen zu testen. Dabei werden in vitro Zelltests verwendet, die auf der Aktivierung des Österogen-Rezeptors und verwandter Rezeptoren und eine Reihe weiterer Stoffwechselwege und Simulierung der Aktivierung der Substanzen durch Cytochrom P450, einem üblichen Abbauweg, basieren. Es kann eine Reihe von Maßzahlen abgeleitet werden, die bei der Einschätzung der Substanzen helfen.
BPA-analoge: https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.5c07018?ref=PDF
Die Ersatzsubstanzen kommen in Summe nicht gut weg. Einziger Lichtblick scheinen Derivate von Tetramethylcyclobutan (TMCD) zu sein.
Dosenlacke
Ein komplexes Thema sind Dosenlacke, Innen und Außenlackierungen von Konserven- und Getränkedosen. Dabei sind die Getränkedosen als Einmalanwendung sinnvollerweise durch Pfandflaschen zu ersetzen, die gute alte Sardinen-(Gemüse-, Corned beef-, Fertiggericht-) Dose hat für bestimmte Anwendungen sicher ihre Berechtigung. Um die Entwicklungen etwas besser einzuordnen hier für die Chemiker unter uns ein nicht ganz neuer aber interessanter Übersichtsartikel:
https://www.aesan.gob.es/AECOSAN/docs/documentos/laboratorios/Food_beverage.pdf
hier zeigt sich, dass man die gängigen Epoxylacke nur schwer generell ersetzen kann. Die Industrie ist aber dabei nach Alternativen zu suchen.
Die Branche krankt allerdings an unübersichtlichen Rezepturen mit einer schwer überschaubaren Vielfalt an Vernetzern, Härtern und Mehrschichtlackierungen wobei je nach Lackchemie bei Lebensmittelkontakt Substanzen aufs Lebensmittel übergehen können von denen viele nicht einmal toxikologisch evaluiert sind (siehe https://www.nabu-bfa-oekotox.de/2024/11/27/chemikalien-mit-nahrungsmittelkontakt-eine-un%C3%BCbersichtliche-angelegenheit/).
Die vom BUND AK-Umweltchemie angeregte Standardisierung für Plastik (und Datenbanken über Additive) wäre hier sicher eine gute Idee. Recycling ist kein Thema da es sich um 1-20 µm dicke Schichten auf Einwegdosen handelt, wohl aber würde man damit die Migrationsproblematik eher in den Griff bekommen.
Die Untersuchungen über Migration und Toxikologie gerade bei Nicht-Epoxy-Lacken stehen oft noch am Anfang.
Wenn dann bei ersten Untersuchungen von Polyesterlacken "zyclische Oligomere und .. Caprolactan-Oligomere (Dimer, Trimer, Pentamer) detektiert werden" weiß man, dass sich hier ein weites Betätigungsfeld für Toxikologen auftut.
Immerhin sind Polyesterlacke mit TMCD offenbar ein Weg, die Probleme dieser Lacke mit sauren und agressiven Inhalten zu lösen und die Migration von Hydrolyseprodukten zu verringern. (https://www.pcimag.com/articles/104107-new-class-of-specialty-polyester-polyols-enables-highly-weatherable-and-durable-automotive-and-industrial-coatings).
Polyesterlacke als Alternative werden in der Industrie bereits seit mehr als 20 Jahren entwickelt und eingesetzt. Dass die Evaluierung der migrierenden Stoffe dabei immer noch in den Kinderschuhen steckt, bedeutet, dass nicht nur die Konsumenten Risiken ausgesetzt werden sondern auch die Industrie Gefahr läuft, die Kosten jahrelanger Entwicklung "in den Sand zu setzen". Eigentlich müsste die Etablierung von Tests vor der Vermarktung solcher Polymere mit Lebensmittelkontakt im Allgemeinen Interesse sein. Genau das wird aber die Industrie als überbordende Bürokratie und Investitionshemmnis ablehnen.
Bernd Wille
Kommentar schreiben